Sicherheitshinweise für das Rudern auf der Unterweser

Sicherheitshinweise für das Rudern auf der Unterweser

Unser Ruderrevier ist großartig. Und es birgt bestimmte Risiken, die man selbst mit viel Rudererfahrung im Binnenland nicht ohne weiteres erkennen kann. Nachdem wir diese Risiken kennen und einschätzen können, möchten wir allen unseren Gästen aber auch allen anderen Ruderinnen und Ruderern in unserem Revier erklären, worauf es zu achten gilt.

Es sind im Wesentlichen drei Aspekte, die unser Revier grundlegend von vielen anderen Ruderrevieren unterscheiden: 1)

  1. Unser Ruderrevier ist ein Tidengewässer - es hat ständig wechselnde Wasserstände und Strömungen. Das kennen manche Vereine in den Nebenflüssen von Ems, Weser, Elbe und Eider auch. Aber die meisten Vereine in diesen Gegenden liegen dann doch im Binnenland hinter der ersten Schleuse. Aus gutem Grund.
  2. Unser Ruderrevier ist seeehr groß: bei uns ist die Weser etwa einen Kilometer breit - stromauf geht es 50 km und gänzlich ohne Begrenzung stromab. Der Bodensee ist auch seeehr groß und er soll schwer vorhersagbare Winde haben, die das Rudern dort sehr rasch kritisch werden lassen können. Unser Wind ist dagegen eher zuverlässig - in Kombination mit den Tideneffekten kann genau das zu eigenen Problemen führen.
  3. Bei uns fahren Seeschiffe also die wirklich großen Schiffe, die 6.000 Autos aus Korea bringen oder 50.000 Tonnen Erz für das Stahlwerk Bremen. Für diese Schiffe sind wir so unsichtbar und so unbedeutend wie Treibholz. Kein Schiff wird auch nur um einen Strich von seinem Kurs abweichen um eine Kollision mit einem Ruderboot zu vermeiden. WIR müssen dafür sorgen, dass es zu keiner Kollision kommt.

 1. Die Unterweser ist ein Tidengewässer.

Der Wechsel von Ebbe und Flut folgt einer ungefähren Sinusschwingung, das heißt:

  • Etwa alle zwölf Stunden läuft eine Hochwasserwelle von der Nordsee kommend die Weser hinauf bis nach Bremen (abzweigend bis Oldenburg). Von Bremerhaven aus braucht die Welle etwa zwei Stunden bis Bremen. Das bedeutet, dass man auf der Fahrt nach Bremen etwa acht Stunden zur Verfügung hat, um mit der Flut zu fahren - stromabwärts mit der Ebbe kommt einem schon nach vier Stunden die nächste Hochwasserwelle entgegen.
  • An den Kenterpunkten, also an den jeweiligen Standorten von Hochwasser und Niedrigwasser, kommt die Strömung zum Stillstand.
  • Nach dem Kentern nimmt die Strömung in umgekehrter Richtung wieder an Geschwindigkeit zu.
  • Bei halber Ebbe und bei halber Flut ist die Strömung am stärksten.

Die unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten bei unterschiedlichen Wasserständen bedeuten aber auch:

  • Jeder Ort auf dem Wasser hat zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Tide unterschiedliche Eigenschaften.

Ein schönes Beispiel dafür sind die Buhnen, die bei uns Schlengen heißen. Bei tiefem Wasserstand bilden sich an ihren Köpfen starke Strudel, die ein Ruderboot leicht herumreißen können. Das ist nicht dramatisch, denn mit "Ruder-Halt, Blätter-Ab!" lässt man sich aus dem Bereich heraustreiben, richtet das Boot neu aus und umfährt die Stelle - es ist ja genug Platz da. Die selbe Stelle ist ein paar Stunden später bei einem hohen Wasserstand völlig ruhig, weil der Buhnenkopf dann in zwei bis drei Metern Tiefe liegt und das Oberflächenwasser nicht beeinflusst.

Die täglich mehrmals wechselnden Strömungsrichtungen bedeuten ferner:

  • Ein ruhiges Wasser, bei dem Wasser- und Windströmung parallel laufen, kann rasch sehr kabbelig werden, wenn die Tide kentert und Wind und Wasser danach einander gegenüberstehen.

2. Die Unterweser ist seehr groß.

Bei uns am Bootshaus ist die Weser so breit wie manches Ruderrevier nicht lang ist (siehe WSV Ennepetal). Und sie ist länger, als das Auge der Steuerleute sehen kann, denn aus der niedrigen Sitzhöhe betrachtet liegt der Horizont bereits in etwa einem bis eineinhalb Kilometern Entfernung. Auf großen Seen gibt es das auch aber:

  • Aus der Kombination aus großem Gewässer und starker Strömung resultiert eine neue Herausforderung:

Bei großer Entfernung zum Ufer ist schwer, Stärke und Richtung der Strömung zu bestimmen. Dieses fällt immer dann auf, wenn man "da draußen" meint, man komme überhaupt nicht vorwärts aber dann mit einem Mal eine Tonne vorbeischießt. Erst dann bemerkt man die manchmal überraschend hohe Geschwindigkeit über Grund. Es addieren sich die Bootsgeschwindigkeit und die Strömungsgeschwindigkeit aber die Entfernung zum Ufer lässt das Boot sehr langsam erscheinen.

Bei großer Entfernung zum Ufer ist es auch schwer, den Verlauf der Strömung im Verhältnis zum Ufer zu bestimmen, also die genaue Richtung der Strömung. Und die verläuft nicht immer parallel zum Ufer! So kann es sein, dass ein Steuermann ein Hindernis (z. B. eine Tonne) an der Steuerbordseite liegen lassen will, um an Backbord daran vorbei zu fahren. Dann legt er den Bug des Bootes richtigerweise nach Backbord. Wenn aber dann die Weserströmung das Boot an der Steuerbordseite an dem Hindernis vorbei treibten will, kann es passieren, dass sich die beiden Geschwindigkeiten der Weser und des Bootes gewissermaßen gegeneinander aufheben und das Boot auf das Hindernis getrieben wird. Wir haben es erlebt: es ist nur um Haaresbreite gut gegangen.

3. Auf der Unterweser gibt es Schiffe.

Wir haben Binnenschiffe und Sportboote, wie es sie auf anderen Rudergewässern auch gibt. Wenn man sich aber vorstellt, dass die Binnenschiffe praktisch auf der Stelle wenden können (oder genauer gesagt "um den Bugspriet herum"), dann wird klar, dass sie bei uns leicht eine Acht quer zur Fließrichtung der Weser fahren können - so wendig sind die, wenn sie Platz haben. Ob sie diese Wendigkeit nutzen würden, um einem Ruderboot auszuweichen, haben wir noch nicht ausprobiert. Die bloße Möglichkeit, hinterher zu erfahren: "nein, tun sich nicht" ist uns zu gefährlich. UND: gleichzeitig wird das Verhalten der Binnenschiffe durch ihre Wendigkeit etwas unvorhersehbar, denn natürlich wollen sie alle zu den Kajen in Nordenham, Bremerhaven oder Brake oder sie kommen gerade von dort. Und irgendwann legen sie dann tatsächlich das Ruder hart, um anzulegen. Oder sie laufen plötlich quer von der Kaje zur Fahrtrinne, um dann weiter stromaufwärts zu fahren. Dann kann man nur hoffen, dass sie uns Ruderer vorher gesehen haben und uns entsprechend nicht gefährden.

Von den Seeschiffen brauchen wir das niemals zu hoffen. Die fahren ganz vorsichtig durch das Fahrwasser, das aus ihrer Sicht sehr echt eng ist. Und sie richten sich nach den Richtfeuern und den Fahrwassertonnen, dem Gegenverkehr und wahrscheinlich auch sehr stark nach dem Radar. Viele haben bauartbedingt einen "toten Winkel" vor dem Bug, der alles verdeckt, was sich auf bis zu 500 Meter vor dem Schiff befindet. Ruderboote werden nicht vom Radar erfasst und sind zu klein, um VOR dem toten Winkel gesehen zu werden. Und wenn wir dann also einem solchen Schiff mit unseren Ruderbooten vor den Bug fahren, kann man sich vorstellen, dass es bestenfalls ein langgezogenes Warnsignal aus dem Schiffshorn gibt und hinterher ruft der Wachhabende die DLRG zur Rettung aber mehr Aufmerksamkeit brauchen wir nicht zu erwarten. Noch wahrscheinlicher aber wird man an Bord des Schiffes den Aufprall überhaupt nicht bemerken ...

Für die Teilnehmer:innen an unserer Regatta um die Strohauser Plate

Die oben benannten Erklärungen helfen nur, wenn es klare Handlundsanweisungen gibt. Für die Regatta um die Strohauser Plate gilt es dieses zu beachten:

    1. Bei jedem Wetter sind die Boote wellentauglich auszurüsten, also mit Schöpfgefäßen zum Lenzen, denn man weiß nie.
    2. Bei starkem Wind und hohen Wellen sind Luftkasten-Abdeckungen erforderlich und Rettungswesten sehr empfehlenswert.
 Hinweise:
 a) Wir Nordenhamer Ruder:innen rudern grundsätzlich mit Abdeckungen;
     unsere Boote sind entsprechend optimiert.
 b) Bei Fahrten ins Watt tragen wir grundsätzlich Rettungswesten.

    1. Es gilt, die optimale Linie zu finden, die zwischen starker Strömung und hohen Wellen liegt: je weiter man in Richtung Fahrwasser kommt, desto größer wird die Strömung aber auch die Gefahr hoher Wellen.
      Ausnahme:
      Bei Ostwind bauen sich die Wellen erst ab der Mitte der Weser auf und erreichen ihre größte Höhe direkt bei uns am Westufer, also dort, wo die Regatta abläuft. Bei der Wetterlage muss die Regattaleitung darüber entscheiden, ob das Rennen stattfinden kann.
    2. Passierende Schiffe machen zusätzliche Wellen. In ausreichender Entfernung zum Ufer kann man die Wellen sehr schön abreiten, indem man das Boot parallel legt und für zwei, drei Wellenberge "Ruder-Halt" gibt. Schlepperwellen sind mit einem Meter Höhe die größen und machen echt Laune: wer im Wellental sitzt, kann über die Wellenberge nicht hinausschauen. ABER: In Ufernähe überschlagen sich die Schiffswellen - wer das für sein Boot zu spät erkennt, muss die Wellen frontal nehmen, also in sie hinein steuern. Dann wird zwar die Mannschaft patschnass aber das Boot bleibt sicher. Anschließend wird gelenzt und nach dem Ende der Fahrt gibt der Steuermann / die Steuerfrau eine Runde.
    3. Kreuzwellen von Schiffen gibt es nur sehr selten, nämlich dann, wenn sich Schiffe begegnen und sich dann die Bugwellen kreuzen. Der Kreuzungsbereich wandert mehr oder weniger direkt zum Strand und ist in jedem Fall zu umfahren. Notfalls muss man anhalten und den Krezuwellenbereich passieren lassen.
    4. Vorsicht ist bei allen stehenden Hindernissen geboten - umso mehr, je stärker der Gezeitenstrom zieht: am Unterfeuer (rot/weiß), an Pricken (Reisigbesen), an Tonnen (grün, rot, gelb/schwarz), Fischreusen, vor Anker liegende Sportboote ... Die Mannschaften der langsameren Boote der Rundfahrt werden mit fortschreitender Ebbe erleben, dass die Tonnen ernsthafte Bugwellen entwickeln und ein 50 Meter langes Kielwasser hinter sich her ziehen ... Also bitte viiiel Abstand halten!
    5. Es versteht sich von selbst, dass wir allen Schiffen aus dem Weg gehen. Den Fahrweg von Seeschiffen kreuzen wir nicht mehr, wenn die Schiffe näher sind, als fünf Kilometer. Für die Regatta berühren wir das Fahrwasser nicht, insofern ist dieser Hinweis überflüssig. Bisweilen aber passieren ablegende Binnenschiffe unsere grüne Tonne auf der "falschen" Seite, um sich das Manöverieren zu erleichtern. Auch davon halten wir guten Abstand.

Und wie immer im Leben gilt: Augen auf im Verkehr! Wer ein Boot steuert, lässt sich nicht passiv durch die Landschaft schaukeln, sondern ist maßgeblicher und aktiver Teil der Mannschaft. Er oder sie sorgt für einen sicheren Fahrtablauf - ggf. bespricht und klärt er/sie auftretende Probleme mit dem Obmann / der Obfrau des Bootes.

1) Einer der ganz wenigen Vereine, die ein ähnlich ungewöhnliches Ruderrevier haben wie wir, ist Der Wikinger in Hamburg, denn auch dort gibt es ein riesengroßes Tidengewässer mit Schiffsverkehr. Aber während es bei uns im Wesentlichen um Wellen und Strömung geht und erst danach um den Schiffsverkehr, dürfte es in Hamburg eher umgekehrt sein.

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